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Der Kampf gegen das Unberechenbare

Daniela Irle

5. Mai 2020

Vor einiger Zeit versuchten mein Mann und ich etwas Harmloses zum Entspannen am Fernseher zu schauen. Wir landeten bei einer Folge Loriots, in der ein älterer Herr einen leeren Raum betritt, ein Bild versucht geradezuhängen und dabei eine Kettenreaktion von furchtbaren Ereignissen auslöst, bei der das ganze Zimmer verwüstet wird.
Kochtopf

Während mein Mann Tränen lachte, verkrümmte ich mich vor Mitleid,
Fremdscham und absolutem Unwohlsein.
Nicht dass ich selbst ständig Verkettungen an Missgeschicken erlebe –
ich kann generell nicht so gut über Fehlentwicklungen lachen.
Gern hätte ich alles berechenbar, planbar – so dass ich entspannt durch jeden Tag komme.
Es gibt genug Facetten des Lebens, die an sich schon so viel Unberechenbarkeit und damit verbundene Ängste mit sich bringen.
Es ist für mich überhaupt nicht selbstverständlich, wenn mittags jedes Kind gesund und unversehrt von der Schule zurückkehrt.
Es ist für mich auch nicht selbstverständlich, wenn mein Mann Tag für Tag oder auch nach einer Dienstreise wieder zurück nach Hause kommt.
Ich würde jetzt den Alltag mit meinen Kindern nicht als eine Aneinanderreihung von Fehlentwicklungen bezeichnen – nein, wirklich nicht.
Aber manchmal – so ein kleines bisschen – wünsche ich mir meine Kinder etwas langweiliger und etwas berechenbarer.
Zum Beispiel bevor Besuch kommt.
Es wäre traumhaft, Räume könnten einfach mal aufgeräumt bleiben …
Dann hätte ich letztes Wochenende nicht viermal die Wohnzimmerdecken wieder aufgehoben und neu gefaltet.
Dann wäre der Fußboden nicht voll Knete, tausenden von Papierschnipseln und der Badezimmerboden nicht bedeckt mit Playmobil gewesen.
Dann hätte Friedas Knie keinen blauen Fleck und vor allem wären die Eier noch immer im Hühnerstall und nicht zerdeppert draußen vor unserer Treppe gewesen.
Es wäre traumhaft, wenn jeder alles gleichermaßen im Urlaub mögen würde und die gleichen Planungsziele hätte:
Dann müssten wir nicht jeden Tag neu diskutieren, warum das Freibad keine tägliche Option ist,
dann könnte ich den ganzen Tag mal lesen, dann würden wir jeden Tag bis acht Uhr schlafen und dann würde die Waschmaschine nur halb so oft laufen.
Generell wäre die Stimmung in meiner perfekten Vorstellung von einem entspannt berechenbaren Leben friedlich.
Reibereien könnten wir uns sparen und abends um Acht den Feierabend einläuten,
statt mit Zahnbürste und Schlafanzug hinter Kleinkindern herzulaufen, Schulsachen auf dem Fußboden einzusammeln und nach vergessenen Wasserflaschen und Brotdosen in Turnbeuteln, Rucksäcken und Ranzen zu wühlen.
Tja, aber vermutlich würde dann kein neues kreatives Gute-Nacht-Lied entstehen,
während Frieda nicht einschlafen kann.
Es gäbe keine wilden Verkleidungsaktionen mit aufgedrehten Besucherkindern und Lotta oder keine Wortgefechte mit Ben, der alles bis aufs Kleinste durchdiskutieren muss.
Emil wäre nicht ständig woanders mit Freunden unterwegs und Christian würde nicht mehr beim Zubettbringen in einem Kinderbett einschlafen.
Ich wäre dann auch um mein Erlebnis gebracht worden, um 21.30 Uhr abends vor meinem eigenen Haus ratlos ohne Schlüssel in der Tasche zu stehen,
da alle Kinder samt Ehemann so fest schliefen, dass keiner Klopfen, Klingel, Telefon, Rufen hörte.

Ist es nicht doch auch das Unberechenbare, das alles irgendwie lustig und auch spannender macht?

Vielleicht muss der Weg sein, das Unberechenbare einzuplanen und zu umarmen?!
Trotzdem werde ich jetzt ganz berechenbar meine Zähne putzen und berechenbar müde in mein Bett fallen.
Denn wer weiß, was morgen kommt.

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