Marcus – unaufgeregt dankbar. Entdeckungen auf der Suche nach der Herkunft
Daniela Irle
22. Februar 2025

Ich kenne Marcus Lee Oberste-Padtberg schon seit über 20 Jahren, doch ich habe erst letztes Jahr tieferen Einblick in seine ganz persönliche Geschichte erhalten. Es hat mich unter anderem sehr berührt zu sehen, was seine Eltern alles für ihn in Bewegung gesetzt haben und mich veranlasst, ihn um ein „Gespräch“ für diesen Blog zu bitten.
Marcus, du hast erzählt, dass du oft gefragt wirst, wo du eigentlich herkommst. Warum war diese Frage für dich skurril oder irritierend?
Nun ja, diese Frage beantworte ich meistens mit aus Wesel, meinem aktuellen Wohnort, aus Rheinberg, meinem aktuellen Arbeitsort oder aus Remscheid, wo ich großgeworden bin. Häufig ist die Reaktion auf diese Antwort: „Und wirklich?“. Erst dann wird mir klar, dass mein Äußeres nicht vermuten lässt, dass ich aus dem Bergischen Land oder vom Niederrhein stammen.
Und wirklich heißt dann Südkorea. Denn dort wurde ich geboren und im Alter von vier Monaten nach Deutschland adoptiert.
Wann und wie hast du erfahren oder vielleicht besser verstanden, dass du adoptiert wurdest?
Wann ich den Umstand tatsächlich verstanden habe, kann ich gar nicht zurückverfolgen. Meine Eltern haben zu keiner Zeit ein Geheimnis daraus gemacht, dass ich adoptiert wurde, ebenso wie meine zwei Jahre jüngere Schwester.
Obwohl mir manchmal gewisse Ähnlichkeiten mit meinem Adoptivvater zugeschrieben werden, lässt mein Äußeres ja auch nicht die Vermutung zu, dass ich europäischer Herkunft bin.
Deine Eltern haben wundersamerweise doch noch ein eigenes Kind bekommen. Wie hast du euer Zusammenleben empfunden?
Wie in einer ganz normalen Familie. Meine Eltern haben überhaupt nicht zwischen uns unterschieden. Und zu einem normalen Familienleben gehört eben auch Chaos, gemeinsame abendliche Andachten, Urlaube, aber auch Streitigkeiten. Insgesamt denke ich mit vielen Dankbarkeit und Freude an die gemeinsame Zeit in Remscheid zurück.
Letztes Jahr hast du dich auf eine Entdeckungsreise zu deiner Herkunft begeben? Was hat dich dazu veranlasst?
Das kann ich gar nicht so genau beantworten. Ich bin schon im Jahr 2016 über ein Buch gestolpert, in dem sich die Autorin, Amelie Schinkel, auf die Suche nach ihren biologischen Eltern gemacht hat. Mit großem Interesse habe ich dieses Buch gelesen, aber dann wieder zur Seite gelegt. Mehr oder weniger durch einen Zufall bin ich auf eine Facebook Seite gestoßen, die vom KAD e.V. betrieben wird. Dies ist ein Verein, in dem sich aus Korea Adoptierte in Deutschland zusammengetan haben. Ich habe die Aktivitäten und Posts dieses Vereins mehr oder weniger im Vorbeigehen wahrgenommen. Erst da habe ich entdeckt, dass es diese Community gibt und sie sich auch organisiert hat. Bereits vor seinem Tod hat mir mein Vater die vorhandenen Unterlagen über meine Adoption übergeben. Diese ruhten in einem dicken Aktenordner in meinem Arbeitszimmer und im vergangenen Jahr habe ich diesen Aktenordner zur Hand genommen und die darin aufbewahrten Dokumente aufgearbeitet und so einen Teil meiner Geschichte nachverfolgt.
Durch die Aktivität des Vereins habe ich gesehen, dass es mittlerweile recht einfach ist, eine Anfrage bei den Adotionsgesellschaften zu stellen, um Informationen aus Korea zu erhalten. Etwa 10 % aller Adoptierten unternimmt diesen Versuch, doch nur ein sehr kleiner Teil davon ist bei der Suche nach den biologischen/leiblichen Eltern erfolgreich.
Was war für dich bisher der größte Gewinn, dich mit deinem Herkunftsland, dem Adoptionsvorgang und deiner leiblichen Mutter auseinanderzusetzen?
Bisher erlebe ich die Auseinandersetzung mit Korea nicht als besonderen Gewinn. Vielmehr baut sich eine gewisse Sorge vor einem Besuch ab.
Bisher habe ich von einem Besuch Abstand genommen, weil ich weder Sprache noch Kultur beherrsche, obgleich ich aussehe wie jeder andere in Korea.
Die Begegnung mit Menschen, die Korea besucht haben, hat mir diese Sorge genommen, da sie berichten, dass man sehr schnell als westlicher Tourist erkannt wird. Ein besonderer Gewinn ist das Kennenlernen anderer Adoptierter aus Korea. Dabei geht es gar nicht darum, die Erfahrung zu machen, dass noch andere in meiner Situation sind und mögliche ähnliche Herausforderungen erleben, vielmehr ist es spannend, die Geschichte von anderen Menschen zu hören und mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Ich glaube, dass die Tatsache, dass uns unsere Adoptionsgeschichte miteinander verbindet, diese Gespräche vereinfacht, weil man immer gleich ein gemeinsames Thema hat.
Über das Leben und die Umstände meiner leiblichen Mutter vermag ich nichts zu sagen. Hier hat es über die Adoptionsgesellschaft den Versuch einer Kontaktaufnahme gegeben, der jedoch aktuell noch nicht beantwortet ist.
Gab es für dich Überraschungen?
Überraschend und bereichernd sind die oben dargestellten Begegnungen. Ansonsten barg die Begegnung mit der koreanischen Kultur tatsächlich die ein oder andere Überraschung. Ich wusste zum Beispiel nicht, dass Karaoke ein tatsächliches Kulturgut in Korea ist. Ebenso lernte ich koreanisches Barbecue kennen, was mir sehr zusagt.
Was wäre dein größter Wunsch für dich und deine Reise zu deinen Ursprungswurzeln?
Mein wesentlicher Wunsch ist, dass ich die Dankbarkeit über mein aktuelles Leben und meine aktuelle Situation nicht verliere. Bisher habe ich zu keinem Zeitpunkt den Eindruck gehabt, dass mir etwas fehlt. Ich wünsche mir sehr, dass dies auch weiterhin der Fall ist.
Familie hat ja große Bedeutung dafür, wie zugehörig wir uns dort oder in anderen Gruppen fühlen. Wann und wo empfindest du wohltuende Zugehörigkeit?
Das Gefühl, angenommen zu sein, lässt wohltuende Zugehörigkeit empfinden. Dieses Angenommensein, begleitet mich mein ganzes Leben lang. Angefangen bei meiner Familie, über Freunde meiner Eltern, Freunde in der Jungschar, im Jugendkreis und auch auf Freizeiten. Einen Teil dieser gesegneten Gemeinschaft erlebt ihr, die Familie Irle, ja mit, wenn wir gemeinsam Feste feiern oder den Jahreswechsel begehen.
Was würdest du gern Lesern dieses Blogs zum Thema Adoption allgemein mitgeben?
Ich denke, dass jede Adoptionsgeschichte ihre eigenen Farben und Facetten hat. Meine persönliche Geschichte habe ich mit „unaufgeregt und dankbar“ überschrieben. Unaufgeregt deshalb, weil ich völligen Frieden damit habe, wenn meine Forschungen keine weiteren Ergebnisse bringen und dankbar, weil ich in besonderer Art und Weise die Fürsorge Gottes erleben darf. Weder ist selbstverständlich, dass ich zur Adoption freigegeben wurde, noch ist selbstverständlich, dass ich in eine behütete Familie geboren wurde, die mir zudem den Glauben an einen zugewandten Gott vorgelebt hat. Noch ist es selbstverständlich, dass ich herzliche Freunde und eine wunderbare Frau und Kinder habe.
Ich habe sowohl in meiner Adoptions-Ursprungsfamilie als auch meiner eigenen Familie so tiefe Annahme erlebt, dass ich mich als lebendiges Beispiel dafür sehe, wie Annahme oder Aufnahme funktionieren kann.
Für mich ist es ein Bild dafür, wie Gott uns annimmt. Diese Erfahrung wünsche ich auch allen anderen Menschen.
Vielen Dank, lieber Marcus, für deine Bereitschaft und Offenheit und freue mich sehr mit dir, dass du dich so angenommen und geliebt in deiner Adoptivfamilie gefühlt hast!

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